Ich wache auf. Ich bin halb in einem Sessel versunken, und mir tun die Gelenke weh. Wie es scheint, ist das Schlafen in einem Sessel nicht optimal.
Ich werde mir selber sagen, nie wieder in einem Sessel zu schlafen, aber es ist nicht so, als hätte ich mich mit Absicht hineingelegt, um zu schlafen. Nein, ich bin vermutlich betrunken eingeschlafen.
Ich schaue mich um. Links auf dem Beistelltisch aus Mahagoni steht eine Flasche mit Schnaps – gutem Schnaps. Ich habe ungefähr 50 DM für den Schnaps gezahlt, dann sollte er auch gut sein. Die Flasche ist leer. Ich habe sie alleine ausgetrunken.
Neben der Flasche steht ein halbvolles Weinglas, in dem eine halb gerauchte Zigarre liegt. Solche Zigarren hat immer mein Großvater geraucht, und ich habe einen großen Vorrat von ihnen gefunden, als ich diese Jagdhütte geerbt und sie durchsucht habe.
Mir gegenüber steht ein Fernseher. Inzwischen zeigt er nur noch das Testbild an, doch ich kann sehen, was ich mir angesehen habe, da die Videokassetten davorliegen. Es sind insgesamt sechs Filme: Cannibal Holocaust, Salò o le 120 giornate di Sodoma, Koroshiya 1, The Texas Chain Saw Massacre, Guinea Pig 2: Chiniku no Hana, Suspiria.
Ich schaue an mir herunter. Ich bin nackt. Das bin ich immer, wenn ich ES tue. Es läuft immer gleich ab. Es war die letzten zwei Dutzend Male so, und so wird es auch heute sein. Und die nächsten zwei Dutzend Male.
Ich komme immer aus der Stadt, mit Vieh im Kofferraum. Ich kaufe einen teuren Schnaps und manchmal einen neuen Film. Dann fahre ich zur alten Jagdhütte meines Großvaters, treibe das Vieh in den Keller, putze Großpapas Jagdausrüstung und den Schlachtraum.
Wenn das getan ist, ist es meist Abend. Dann ziehe ich mich aus, setze mich vor den Fernseher und schaue diese Filme, während ich masturbiere. Währenddessen trinke ich, damit der Schmerz verschwindet – oder ich hoffentlich an einer Alkoholvergiftung sterbe.
Ich will nicht tun, was ich tue, aber ich tue es, weil ich es muss. Weil ich es brauche. Und weil ich zu feige bin, mich selber zu töten. Dann wache ich morgens auf, und mir tut alles weh. So auch heute.
Ich stehe auf und ziehe mich an. Einen Anorak, schneeweiß, und eine Maske, auch weiß. Dann nehme ich das Jagdgewehr meines Großvaters, stecke sein Jagdmesser und etwas Munition in meine Taschen. Ich gehe in Richtung Keller, wo ich das Vieh habe. Ich steige hinab und schaue durch ein kleines Fenster in den Kohlekeller. Dort liegt es, das Vieh. Es liegt nackt und angekettet am Boden, zitternd von der Kälte draußen und schlafend.
Ich öffne die Tür des Kartoffelkellers und betrete ihn. Ich sage zum Vieh, es sei Jagdtag. Ich bringe es hinaus in die Winterlandschaft. Ich stehe mit dem Vieh an der Kette im tiefen Wald und sage ihm, es hätte nun fünf Minuten Zeit zu laufen. Danach würde ich ihm nachlaufen.
Es rennt. Es rennt und weint und rennt. Ich schaue auf meine Armbanduhr und lade meine Waffe. Nach fünf Minuten beginne ich, dem Wild nachzujagen. Ich kann es riechen, seine Angst, und ich kann das Weinen in der Ferne hören. Ich kann das Schreien nach Hilfe hören. Doch leider ist das Schreien nach Hilfe zwecklos, da es hier keinen Menschen im Umkreis vieler hundert Kilometer gibt. Hier ist niemand. Niemand, der das Wild retten kann.
Ich komme näher. Ich höre kein Weinen mehr, kein Schreien. Nein, ich höre es winseln. Da komme ich um die Ecke und erblicke es. Das Vieh liegt unter einem Baum. Das Wild liegt in einer Kuhle. Ich rufe, dass es sein müsse, und spüre, wie Tränen auf meinem Gesicht gefrieren.
Ich lege an, drücke ab und treffe das Wild in die Flanke, woraufhin viel Schweiß entrinnt und den Boden rot färbt.
Das Vieh und das Wild verschwimmen in meinem Sichtfeld und formen einen Menschen. Ein Mädchen. Sie sieht aus wie ich. Da bekomme ich eine unglaubliche Wut und trete näher. Ich beginne, auf sie einzustechen, immer und immer wieder, bis das Messer mir wegen des Blutes aus den Händen gleitet.
Ich schleife das Vieh wieder zurück zur Jagdhütte. Es muss getan werden, immer. Auch wenn es mir nicht schmeckt es zu tun.