Hunger (30.12.2024)

Mein Magen knurrt. Er knurrt sehr laut, schon seit einigen Tagen. Neben mir sitzt Sophie, meine beste Freundin, doch ihr Magen knurrt seit gestern Abend nicht mehr. Ich weiß, ich muss es tun und dass sie das so gewollt hätte, aber ich
würge trotzdem bei dem Gedanken daran, es zu tun. Ich stehe auf. Sophie bleibt sitzen und starrt auf den Boden vor sich mit ihren toten Augen. Ich laufe einige Schritte, bis ich bei der Reling bin und in die See hineinsehen kann. Ich sage
zu mir selber und zu Sophie: Es täte mir leid. Ich drehe mich um. Sie starrt noch immer auf den Boden. Ich entschuldige mich erneut und schließe ihre Augen. Ich habe mich in der Vergangenheit mit Kannibalismus beschäftigt und habe deshalb
einen ungefähren Plan, wie ich sie möglichst sicher essen kann.

Ich bringe ihren Leichnam in die Kombüsenecke der Kabine und schaffe ihn dann direkt wieder raus, als mir einfällt, dass dort auch noch Noah, mein bester Freund, schon seit einigen Tagen tot daliegt und verrottet. Er ist gestolpert und hat
sich das Genick gebrochen. Ich kann nicht bei diesem Geruch kochen, nicht mal sein kann ich bei diesem Geruch. Ich nehme mir ein Stück des schon lange zerrissenen Segels und lege es mir über Mund und Nase und gehe schnell zurück in die
Kombüse, um mir von dort ein Messer und einen Topf zu holen. Draußen beginne ich, mir ein Stück von ihrem Oberschenkel abzuschneiden. Ich weiß, dass ich ihren Leichnam nicht auf einmal zerlegen darf, da er dann zu schnell verrottet, und das
will ich ihren sterblichen Überresten nicht antun. Ich will, dass das, was von ihr übrig bleibt, nochmal beerdigt wird.

Nachdem ich mir ein Stückchen ihres Oberschenkels abgeschnitten habe, mache ich ein Feuer mit dem zerstörten Segel, woraufhin ich Sophies Oberschenkel mit Meerwasser koche. Es riecht wie Schwein. Mir wird noch schlechter, als mir eh schon ist.
Ich steche in das Fleisch ein und bringe es zu meinem Mund. Ich beiße rein. Salziges Wasser macht sich in meinem Mund breit, ich würge. Ich beiße erneut rein und schlucke. Mir ist nun speiübel. Ich lasse das Fleisch zurück in den Topf fallen
und eile zur Reling, über die ich mich beuge und das Brechen beginne. Nach einigen Minuten, die ich da hänge und auf leerem Magen würge, spüre ich, wie das Boot sich hebt. Ich falle über die Reling und verschwinde im dunklen Tief und finde
ein nasses, tiefes Grab, eines, das einer Person, welche einen solchen abscheulichen Akt begeht, gerecht wird. Ich werde verschlungen – von den Wellen, von der Erde, vielleicht von Poseidon und Neptun, von Gott oder von Gaia, so wie ich
sie zu verschlingen ich vorhatte.

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